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Projektbeschreibung (Abschnitt 3)

Stand der Forschung und Versorgung

Entwicklung der Geriatrie

In den letzten 10 bis 15 Jahren hat sich das Versorgungsangebot für geriatrische Patienten aus internationaler wie nationaler Perspektive stark differenziert. So gibt es die akutmedizinisch ausgerichtete geriatrische Krankenhausbehandlung neben eher frührehabilitativ und rehabilitativ ausgerichteten Versorgungseinrichtungen. Hinzu kommen teilstationäre Versorgungsformen, geriatrische "Assessment-Units", präventive Hausbesuche, die ambulante und/oder mobile geriatrische Rehabilitation und anderes mehr. Bisherige Studien und Metaanalysen (z.B. Rubenstein, Stuck et al. 1991; Nikolaus, Specht-Leible et al. 1999; Stuck, Siu et al. 1993; Stuck, Egger et al. 2002) waren insbesondere auf die Fragestellung fokussiert, ob und welche Versorgungsformen effektiv im Hinblick auf niedrige Rehospitalisierungsraten, niedrige Mortalitätsraten und verbesserte Selbständigkeit sind. Direkte Vergleiche der Effektivität verschiedener geriatrischer Versorgungsformen wurden dabei überhaupt selten und im Hinblick auf möglicherweise kausal beteiligte institutionelle Merkmale (Struktur-, Prozessqualität) bislang quasi noch nie durchgeführt (vgl. aber Loos, Borchelt et al., 2001). Insofern kann für die Geriatrie derzeit kein "institutioneller" Benchmark angegeben werden, d. h. die "beste Versorgungsform" ist noch unbekannt. Mittlerweile gibt es jedoch international erste Fortschritte in dem Bemühen, Instrumente zu entwickeln, die es erlauben, geriatriespezifische institutionelle Stärken und Schwächen auf Personal- und Ausstattungsebene systematisch zu erheben (z.B. in den Vereinigten Staaten: Abraham, Bottrell et al. 1999). Größere Studien liegen hierzu jedoch noch nicht vor, von einer direkten Übertragbarkeit auf andere Versorgungssysteme kann vermutlich nicht ausgegangen werden.

Studien zu Behandlungspfaden bei Schlaganfall und Schenkelhalsfraktur

Zu den beiden größten Patientengruppen der Geriatrie - Patienten nach akutem Schlaganfall (Sulch, Perez et al. 2000) und Patienten nach hüftnaher Oberschenkelfraktur (March, Cameron et al. 2000) - wurden in jüngster Zeit zwei Studien durchgeführt, die ein an detaillierten Behandlungspfaden orientiertes Vorgehen mit der herkömmlichen klinischen Behandlung verglichen haben. Beiden Studien wurden dabei evidenzbasierte Behandlungspfade zugrunde gelegt. Direkt vergleichbar sind die beiden Studien in ihrem Design nicht, da die Schlaganfallstudie prospektiv, randomisiert und kontrolliert an einer Einrichtung erfolgte, während in die Frakturstudie Patienten aus verschiedenen Krankenhäusern (mit und ohne bzw. vor und nach Einführung von strukturierten Behandlungspfaden) eingingen und das jeweilige klinische Vorgehen retrospektiv aus den Krankenakten erhoben wurde, während Outcomes prospektiv telefonisch erhoben wurden. In beiden Studien zeigte sich hinsichtlich Mortalität und Institutionalisierung (Pflegebedürftigkeit) nach Entlassung kein signifikanter Unterschied zwischen den unterschiedlich behandelten Gruppen. Die Frakturstudie ist allerdings aufgrund ihres Designs nur eingeschränkt interpretierbar und in die Schlaganfallstudie gingen insgesamt nur 152 Patienten ein. Letztere hat jedoch auch den funktionellen Status und die Lebensqualität erhoben und kam zu dem Ergebnis, dass die konventionelle multidisziplinäre Behandlung hinsichtlich Verbesserung der Selbsthilfefähigkeit effizienter und hinsichtlich Lebensqualität effektiver war als die dem evidenzbasierten Behandlungspfad folgende Therapieform. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass der in dieser Studie entwickelte und untersuchte Behandlungspfad keine individuellen Modifikationen vorsah, sondern genutzt wurde, um das gesamte Vorgehen über einen Zeitraum von bis zu 5 Wochen prinzipiell einheitlich zu strukturieren und festzulegen. Das Problem eines detaillierten, aber rigiden Behandlungspfades besteht darin, dass ein formalistisches Abarbeiten seiner Bestandteile nicht in jedem Einzelfall sinnvoll und effektiv sein kann. Gerade die besondere Berücksichtigung der Individualisierung des ärztlichen, therapeutischen und pflegerischen Vorgehens spielt in der Geriatrie eine große Rolle und erfordert eher ein Erarbeiten der grundlegenden Prinzipien als eine Zusammenstellung umfassender Detailvorschriften. Zusammenfassend werfen Untersuchungen dieser Art momentan aus geriatrischer Sicht eher mehr Fragen auf als sie wirklich beantworten. Aus den methodischen Beschränkungen der erwähnten Studien kann jedoch bereits abgeleitet werden, dass die Multidimensionalität der klinischen, funktionellen und psychosozialen Probleme geriatrischer Patienten und die entsprechende multiprofessionelle Behandlung einerseits ausreichend große Fallzahlen und andererseits ein differenziertes Assessment verschiedener Outcomes erforderlich machen, um das Spektrum der Ergebnisqualität geriatrischer Einrichtungen zu erfassen.

Benchmarks und Best Practice

Objektivierte Benchmarks für das gesamte Spektrum geriatrischer Ergebnisqualität liegen bislang noch nicht vor, weder national noch international. Geriatrische Standards und Prinzipien der klinischen Behandlung sowie Definitionen einer "besten Praxis" beruhen im Wesentlichen noch auf Expertenmeinungen, wobei die Bedeutung des interinstitutionellen Diskurses zur Generierung eines in der täglichen Praxis umsetzbaren Konsensus zunehmend häufig unterstrichen wird (z.B. American Geriatrics Society, 2002; Luchi, Gammack et al. 2002; Orb, Davis et al., 2001; Kydd, 2002).

Geriatrisches Assessment

Andererseits wurde in den letzten Jahren jedoch konsequent wissenschaftlich und klinisch an den wesentlichen Grundlagen und Voraussetzungen für eine Entwicklung, Definition und Evaluation objektivierbarer Benchmarks in der Geriatrie gearbeitet. Hierzu zählen vor allem die standardisierten, validen und reliablen, in der klinischen Routine praktikablen Assessmentinstrumente (z.B. Mahoney & Barthel 1965; Folstein, Folstein et al. 1975; Yesavage 1988; Specht-Leible, Nikolaus et al. 1994; vgl. auch Meyer zu Schwabedissen, Nemitz et al. 1999) sowie deren Zusammenstellung zu ausreichend mehrdimensionalen, zugleich weiterhin praktikablen Testbatterien (vgl. Arbeitsgruppe "Geriatrisches Assessment" (AGAST) 1995). Zu letzteren gibt es mittlerweile auch erste wissenschaftliche Untersuchungen, die das multidimensionale geriatrische Assessment zur Formulierung und Evaluation einer geriatrischen "besten Praxis" bereits nutzen (Philp, Newton, et al. 2001; English & Mykyta, 2002).

Geriatrisches Minimum Data Set (GEMIDAS)

Das in Deutschland derzeit am häufigsten eingesetzte, strukturierte geriatrische Assessment ist das Geriatrische Minimum Data Set (⇒ GEMIDAS), das Ende 1996 von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Klinisch-Geriatrischen Einrichtungen e.V. in Kooperation mit der Forschungsgruppe Geriatrie am EGZB entwickelt und bis Ende 2002 bundesweit in über 70 geriatrischen Einrichtungen eingeführt wurde (Borchelt, Vogel & Steinhagen-Thiessen, 1999). Auf GEMIDAS aufbauend wurde 1997 in Bayern das GiB-DAT-Projekt ("Geriatrie in Bayern Datenbank") entwickelt, das weitestgehend kompatibel zu GEMIDAS ist, jedoch ausschließlich in geriatrischen Rehabilitationseinrichtungen eingesetzt wird. Beide Dokumentationsstandards, GEMIDAS wie GiB-DAT, wurden unter dem Aspekt und der Zielsetzung der Sicherung und Verbesserung geriatrischer Behandlungsqualität entwickelt. Ihre mittlerweile gefestigte Implementierung in der klinischen Routine stellt eine wesentliche Voraussetzung für die Verwendung in etablierten Qualitätsmanagementsystemen dar. Bislang wurden jedoch noch keine allgemeingültigen Kriterien der Interpretation und Bewertung der geriatrischen Ergebnisqualitätsindikatoren (z.B. Barthel-Index, Timed "Up&Go"-Test etc.) entwickelt. Entsprechend fehlen bisher evidenzbasierte Empfehlungen für eine Anpassung, Modifikation und Optimierung geriatrischer Behandlungsprozesse.

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